Im Rahmen der ersten Veranstaltung der Veranstaltungsreihe “Der lange Schatten der SED: Die DDR und die Wendezeit in der kritischen linken Aufarbeitung” kamen am 04.09.2020 Titus Hopp (Berlin) und Gesine Oltmanns (Leipzig) zum Thema „Linke Opposition in der DDR“ ins Gespräch. In Absprache mit den Teilnehmenden veröffentlichen wir im Folgenden Auszüge dieser Diskussion. Im Zentrum steht dabei Gesine Oltmanns Perspektive auf ihre persönlichen Erfahrungen zur DDR- und Wendezeit sowie auf den Aufarbeitungsprozess innerhalb der Partei DIE LINKE.
Gesine, als Teil einer Pfarrersfamilie wurdest du in der DDR durch SED und Stasi in eine besondere Position gebracht, die auch mit Repressionen verbunden war. Wie hast du diese Situation in deiner Kindheit und Jugend wahrgenommen?
Gesine Oltmanns: „Tochter eines Pfarrerhaushalts zu sein, das war in der DDR schon eine besondere Situation. Ich wurde in ein Stigma hineingeboren, dass die DDR als Staat geprägt hat. Die DDR war ein atheistischer Staat und trug dies besonders in den 50er Jahren auch kämpferisch aus. Die Kirche wurde damals mit all ihren Jugendformaten, den Studentengemeinden und weiteren Organisationen extrem bekämpft. Mein Vater war damals junger Pfarrer hier in Böhlen und hat die gesamte Situation mit durchgestanden. Und das war auch ein Trauma unserer Familie, muss ich sagen. Ich fand das immer erstaunlich, dass mein Vater trotzdem extrem offen gegenüber dem war, was der Staat bedeutete und immer das Gespräch gesucht hat. Für mich als Kind war es trotzdem immer eine Sonderstellung. Es war bei uns klar, dass niemand von uns Kindern zu den Pionieren ging und dass niemand in die FDJ eintrat. Das war in unserem Elternhaus auch keine Diskussion wert. Deshalb hatte ich schon von der Kindheit an immer eine Sonderrolle, die auch häufig von anderen hinterfragt wurde. Meine Mitschüler*innen fragten mich zum Beispiel: “Warum bis du denn da nicht dabei?” oder “Warum machst du das nicht mit?”. Und ich musste mir da bereits in dieser Zeit eine eigene Haltung zulegen. Als Teenager habe ich das dann sogar sehr genossen. Da habe ich das ausgereizt, so die einzige nicht im Blauhemd in der Klassenversammlung oder bei der Schulversammlung zu sein, aber auch, andere Dinge zu erfahren und mit einzubringen. Zuhause konnte ich andere Gespräche erleben, als im Staatsbürgerunterricht gelehrt wurden. Das war für mich als Kind natürlich sehr prägend. Richtig politisiert wurde ich dann als mein ältester Bruder 1978 in Berlin aus politischen Gründen verhaftet worden ist, das hat unsere Familie in einen Schockzustand versetzt. Er hatte fünf Ausgaben der Zeitschrift Spiegel an Freunde weitergegeben, dafür saß er dann in Hohenschönhausen und ist zu 2,5 Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurden. Für die Verteilung von wenigen Zeitschriften! Das war für mich die erste wirklich repressive Erfahrung mit dem Staat DDR. Später dann konnte ich nicht studieren, weil ich mich gegen diese vormilitärische Ausbildung in der Schule gewehrt hatte. Die wollte ich nicht mitmachen, weil ich das sinnlos und absurd fand, in einem Atomrüstungszeitalter. Und das war dann schon ein gewaltiges Handicap, das dazu führte, dass ich mich biografisch gar nicht so richtig entwickeln konnte.“
„Natürlich gab es linke Opposition in der DDR –
in Leipzig besonders sichtbar“
Wie hast du eine linke Opposition in der DDR wahrgenommen?
„Also eine linke Opposition gab es natürlich. Und die gab es auch immer. In Leipzig war diese linke Opposition auch sichtbar. Ich bin da beispielsweise durch meine Aufarbeitung bei der Stasi darauf gestoßen. Ich habe mich um politische Prozesse und die Rehabilitation der Menschen gekümmert und dafür Akten eingesehen. Irgendwann stand ein Herr bei mir vor der Tür des Büros und wollte gern sein Urteil einsehen. Die Angeklagten haben damals ja nicht mal ihre Urteile ausgehändigt bekommen. Der Fall war vom Ende der 70er Jahre. Da gab es hier in Leipzig eine linke Gruppe um einen ehemaligen Dozenten. Und die haben etwas ganz Typisches gemacht für diese linken Zirkel: Sie haben sich getroffen und Literatur diskutiert, auch verbotene Sachen weitergegeben, die nicht in den Buchhandel kamen. Das waren rege intellektuelle Zirkel. Natürlich waren die der Stasi immer ein Dorn im Auge, weil das auch eine Durchsetzung der Gesellschaft mit anderen Ideen und mit anderen Ansätzen bedeutete. Diese Gruppe, die hat die Verhaftung von Rudolf Bahro thematisiert. Rudolf Bahro war ein Kommunist in der DDR, der ein Buch geschrieben hat, das eigentlich seine Dissertation war: „Die Alternative“. Das Buch durfte in der DDR nicht erscheinen, obwohl es eigentlich ein Buch für die DDR war. Es wurde offiziell verboten und trotzdem in Untergrundkreisen sehr viel diskutiert und sehr viel gelesen. Und diese Gruppe hat nach der Verhaftung von Rudolf Bahro 1978 am Völkerschlachtdenkmal eine große Aktion gemacht. Sie haben riesengroß in roten Buchstaben drauf geschrieben: “Freiheit für Bahro”. Und damit flog die ganze Gruppe durch die Stasi auf und alle wurden verhaftet und zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. In der Gruppe war auch eine junge hochschwangere Frau dabei. Das Ermittlungsverfahren wurde erst ohne Haft geführt, nach der Entbindung kam das Baby ins staatliche Kinderheim, die Frau musste in den Knast. Also es war wirklich eine tiefe Tragik, wie damit umgegangen wurde. Die Leute wurden wegen dieser Aktion bis zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Ein irrationales Strafmaß! Aber die Aktion für die Freiheit von Bahro, die hat wiederum andere hier in Leipzig angeregt. Es wurde dann beispielsweise eine Flugblattaktion für die Verhafteten gemacht. Zwei Personen aus einer Gruppe haben Flugblätter gedruckt, wie ich in den Stasiakten herausgefunden habe. Das ist interessant, um mal einen Eindruck davon zu bekommen, dass es eine starke, intellektuelle Szene hier gab, die sich mit linken Ideen beschäftigte. Aber die eben durchaus auch auf dem Stasi-Sucher war. Die involvierten Menschen waren entsprechenden Repressionen ausgesetzt, wurden als Staatsfeinde verfolgt. Davon sind dann auch viele Leute in den Westen gegangen. Eine weitere Gruppe war “Neues Denken”. Da gab es eine Person namens Jürgen Tallig. Er wollte nach dem Verbot der Zeitschrift Sputnik im Herbst 1988, dass das weithin bekannt wird und dass Gorbatschow und seine Reformen hier auch stärker wahrgenommen werden. Also hat er mit drei Leuten zusammen in der Fußgängerunterführung am Wilhelm-Leuschner-Platz riesengroß das Gorbatschow-Zitat dran geschrieben: “Wir brauchen Offenheit und Demokratie wie die Luft zum Atmen”. Und das war eine super Aktion, auch sehr wichtig für uns. Sie hat Kreise gezogen, weil sie verhältnismäßig öffentlich war. Die Stasi war total schnell da und hat es weggewischt. Aber es sprach sich rum und es verband damals die Gruppe vom Kulturband, die ja wirklich weit weg von der Kirche war, mit den Oppositionsgruppen in der Kirche. Es gab dann ein Zusammenwirken in der Solidarisierung mit Jürgen Talliig und seinen Mitstreitern, die zu horrenden Geldstrafen verurteilt wurden. Wir haben während des Friedensgebetes in der Nikolaikirche für sie Geld gesammelt. Auch im Allgemeinen verband sich alles sehr stark miteinander 1988, 1989. Das ist eine Entwicklung, die auch hier in Leipzig die Stärke der Opposition geprägt hat.“
Warum war das Verbot des Sputnik-Magazins so ein Politikum, obwohl die Zeitschrift selbst in der DDR weniger populär war?
„Doch, das Magazin war schon sehr beliebt. Seit Gorbatschow waren da schon interessante Artikel zu lesen, gerade die Aufarbeitungsartikel zum Stalinismus, die man in der DDR-Presse einfach nicht las. Und auch deshalb wurde der Sputnik dann verboten. Das wichtige und gute am Sputnik war, dass das eine offizielle Zeitschrift war. Man konnte sich also immer auf das berufen, was darin stand. Bei den anderen Zeitschriften, die man im Untergrund hatte, da konnte man das nicht. Und als sie dann verboten war, das war so ein Punkt, an dem wir gesehen haben, jetzt werden wir noch mehr entmündigt.“
Du warst ja zu DDR-Zeiten in Menschenrechtsgruppen in Leipzig organisiert. Zugleich sagen einige, dass es kaum Möglichkeiten gab, sich in linken kritischen oder oppositionellen Gruppen einzubringen oder sie zumindest kaum etwas davon mitbekommen haben. Wie würdest du das bewerten?
„Also es gab in Leipzig durchaus innerhalb der SED aber auch innerhalb der Uni entsprechende Gruppen. Ich kenne es speziell vom sogenannten Kulturbund der DDR, da gab es die Gruppe “Neues Denken” mit einer Veranstaltungsreihe „Dialog“, vorwiegend Studierende und SED-Mitglieder. Die haben sich im Club der Intelligenz getroffen in der Elsterstraße. Das war durchaus ein Partner unserer Basisgruppen, wie wir die Gruppen von kirchlicher Seite nannten oder von den Menschenrechtsgruppen. Da konnte man sich einbringen. Und auch in Berlin gab es stark intellektuelle Kreise, die ganz großartige visionäre Schriften für die DDR verfasst haben. Da gab es Edelbert Richter, einen Philosophen an der kirchlichen Hochschule in Naumburg. Er ist glaube ich immer noch Mitglied der Linken in Thüringen. Die haben Schriften verfasst, die eine super gute Basis für die Oppositionsarbeit waren. Vieles bewegte sich in intellektuellen Zirkeln. Da waren dann auch Leute, die relativ schnell aktiv wurden und Parteien und Bürgerbewegungen gegründet haben. Also wenn man sagt, die DDR-Opposition hatte keinen Plan, dann ist das vollkommener Quatsch. Das belegen zum Beispiel die vielen Untergrundzeitschriften, die veröffentlicht und weitergegeben wurden und die in einer Untergrundszene auch wichtige Papiere waren.“
„Um die Ziele unserer Demonstrationen auf dem Nikolaikirchhof gab es viele Missverständnisse.“
Die Jahre vor der Friedlichen Revolution waren von einer erstarkenden Opposition geprägt. Wie hast du Zeit Ende der 80er Jahre wahrgenommen?
„Also da die heutige Veranstaltung ja am 04.09 stattfindet, lässt es sich gerade ganz gut auf den 04.09.1989 zurückblicken. Das ist für mich ein ganz besonderer Tag. Es war der Tag, an dem wir mit den großen Transparenten auf dem Nikolaikirchhof standen. Das war für uns eine Aktion in die Öffentlichkeit hinein, die total wichtig war. Auch für mich persönlich war das auch ein riesengroßer Schritt in die Gesellschaft hinein, mit dem, was wir wollten. Das zeigt auch ein bisschen, dass ich immer eine öffentlich agierende Frau war, die entsprechend auch sehr gefährdet war. Wir waren hier in Leipzig als Gruppen weniger Diskutierclubs als Macher*innen. Das war ein Unterschied zu Berlin. Aber wir haben dadurch auch sehr viel in Bewegung bekommen. Mit allen Rückschlägen. Der 04.09. hatte zur Folge, dass am Montag darauf 30 Personen vom Nikolaikirchhof verhaftet wurden. Das wiederrum hatte dann die Folge, dass es DDR-weit Solidarisierungen gab und dass unheimlich viel in Bewegung kam. Aber es gab halt auch auf jeden Schritt nach vorn einen oder zwei zurück, das war keine Einbahnstraße. Aber es wurden immer mehr.“
Für was habt ihr auf dem Nikolaikirchhof demonstriert?
„Auf unseren Transparenten standen Losungen, die sich bei uns über Monate hinweg als wichtige Kristallisationspunkte herausgestellt haben. Das waren die Grundrechte, die auch in der DDR-Verfassung standen: Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit… Die hat es ja alle in der Verfassung gegeben, wurden aber durch Gesetze ausgehebelt. Und wir haben diese Verfassungsrechte eingefordert, indem wir gesagt haben: “Versammlungsfreiheit! Pressefreiheit! Für ein offenes Land mit freien Menschen!” Das bezog sich auf diesen Freiheitswillen, den wir hatten. Wir wollten, dass man als Persönlichkeit frei entscheiden kann und, dass die Menschenrechte in der DDR gewahrt werden. Das waren unsere zentralen Punkte. Einer der wichtigsten war außerdem die Rechtstaatlichkeit. Dieses Ausgeliefertsein, diese Entrechtung als Mensch, die Missachtung von Menschenrechten, die war für uns oder für mich persönlich immer ein Auslöser und Zentrum des Engagements.“
Trotzdem wurden die Flugblätter deiner Gruppe mit der Aufschrift “Wir sind ein Volk” als Ruf nach Wiedervereinigung missverstanden. Wie waren diese eigentlich gemeint?
„Das sind absolute Missverständnisse. Das Flugblatt am 9. Oktober 1989 wurde aus dem Hintergrund der vorangegangenen Tage mit viel Polizeigewalt auf den Straßen der DDR heraus formuliert. Für uns war klar: Die Polizei, die da auf der anderen Seite stand, in der vielleicht unsere Brüder waren oder unsere Väter in den Kampftruppen, mit denen wollten wir alle zusammen auf der Straße stehen. So war es gemeint. „Wir sind ein Volk!“. Ich bin ab Mitte Oktober nicht mehr mitgelaufen, weil da schon die Tendenzen zur Forderung nach Wiedervereinigung aufkam. Was wir mit der Forderung nach offenen Grenzen wollten, das war nicht die Wiedervereinigung. Und für mich persönlich war der Erfolg schon da, als unsere politisch Verhafteten wieder entlassen wurden. Mit der Amnestie war für mich der Kampf auf der Straße eigentlich erstmal vorbei.“
Jetzt ist bald der Jahrestag der deutschen Einheit. Was hast du für eine Perspektive auf das vereinte Deutschland und wie hast du die Wiedervereinigung wahrgenommen?
„Wir waren ja eine Generation, die in der DDR geboren und aufgewachsen war. Für mich war die deutsche Einheit überhaupt kein Thema. Da haben wir nicht mal drüber geredet, das war für uns ein fremder Gedanke. Das mag in rechten Kreisen anders gewesen sein. Ich denke da gab es auch ein unterschiedliches Generationenbild. Für meine Eltern beispielsweise war das ein anderes Thema. Die waren in den 20er Jahren geboren, sie sind durch den Krieg gegangen, hatten ein demokratisches System in kleinen Splittern erlebt, nach dem Krieg hatten sie wieder Hoffnung. Sie haben dieses vereinigte Deutschland als Kind verinnerlicht, für sie war das durchaus eine Vision. Natürlich auch verbunden mit der Sehnsucht, wieder zusammen mit den Verwandten in einem Land zu leben. Aber für uns als Jüngere war das überhaupt kein Thema, uns ging es um eine reformierte DDR, um ein reformiertes System, mit individuellen Grundrechten. Und wir haben uns ja auch beispielsweise schon in den 80er Jahren sehr viel um Nicaragua gekümmert. Das war für uns so ein Präzedenzfall für reformierten Sozialismus und der war hochspannend. Es gab einige Nicaragua-Gruppen in der DDR, die aber auch vom Staat ungern gesehen wurden. Weil sie Ideen entwickelten, die angeblich nicht zur DDR passen würden.
Ich habe erst sehr spät, vielleicht 20 Jahren nach der Revolution, mitbekommen, dass unsere Gruppen doch sehr heterogen waren und dass es auch bei Menschenrechtsgruppen Leute gab, die straffe Antikommunisten waren. Für mich selbst kann ich sagen, dass ich einen viel langsameren Transformations-Prozess favorisiert hätte, mit einer langsamen Entwicklung und auch einer Selbstfindung der DDR-Bürger*innen. Damit die erstmal überhaupt mit Selbstbewusstsein Staatsbürger*innen werden konnten. Aber diese Meinung ist vollkommen unterrepräsentiert gewesen. Ich denke, dass die Prozesse der Wiedervereinigung total überhastet waren. Es war in Leipzig schon ab November 1989 spürbar, in welche Richtung das geht, was auch dementsprechend Frustration bei uns hervorgerufen hat.“
Du warst dann später auch persönlich in die Aufarbeitung der Repressionen durch die DDR involviert…
„Ich habe mich 1990 in das Bürgerkomitee für die Stasiauflösung eingebracht, weil ich die Aufgabe total wichtig fand. Die Chance, die Öffnung von Geheimpolizei-Akten und die Transparenz einer Geheimpolizei zu erarbeiten, fand ich total wichtig und gut. Dabei ging es erst einmal um den Schutz der Akten und dann um die Rehabilitierung von politisch Verfolgten. Die ganzen Akten lagen nicht, wie es sich für einen Rechtsstaat gehört, in den Gerichten, sondern bei der Stasi. Sie mussten also alle für Gerichts-Reha-Prozesse aufgearbeitet werden. Und ich habe da wirklich viele Opferakten gesehen, ich habe viel über Repression gelesen. Das hat mich unglaublich geprägt. Ich kam ja auch aus einer Situation, bei der man sagen kann: Ich war verfolgt. Das wurde für mich aber ganz klein, im Vergleich zu dem, was ich da gelesen habe. Das habe ich nur eine ganz bestimmte Zeit ausgehalten bis ich gesagt habe: „Jetzt ist gut!“ Danach habe ich angefangen Jura zu studieren, weil das für mich eine schlüssige Folge war. Aber die Arbeit hat mich natürlich auch in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheitsbewältigung geprägt.“
An welchen Punkt in der Wendezeit wurde den politisch Verfolgten recht gegeben und die harten und unrechtmäßigen Strafen, von denen du bereits berichtet hast, wieder aufgehoben?
„Es ist ein Erfolg der Friedlichen Revolution, dass die Rechtsstaatlichkeit wiedereingesetzt wurde. Dass es ein Rehabilitierungsgesetz gab, dass jeder, der einen Antrag gestellt hat, von unrechtmäßigen Strafen rehabilitiert worden ist. Das war ein Prozess über viele Jahre. In den letzten Monaten vor dem Beitritt der DDR haben wir bereits angefangen die Akten vorzubereiten und da kamen auch schon die ersten Richter aus Bayern und Baden-Württemberg, die dann die Verfahren hier durchgeführt haben. Man hat sehr darauf geachtet, dass das erfahrene Leute machen. Es waren und sind differenzierte Formen der Rehabilitierung nötig: Zum einen natürlich die strafrechtliche Rehabilitierung. Beispielsweise gibt es auch Rehabilitierungen für Schüler*innen, die in der DDR in ihrer Ausbildung benachteiligt wurden. Oder ein anderes Beispiel: Für Frauen, die durch medizinische Zwangsbehandlung traumatisiert wurden. Neben den verschiedenen Formen der Rehabilitierung, auch der verwaltungsrechtlichen, gab und gibt es auch eine Entschädigung von Opfern. Das ist bitter nötig, um der Würde der Repressions-Betroffenen auch im Alter gerecht zu werden. Aber es gibt immer noch Gruppen, die leider noch nicht beachtet wurden. Das sind zum Beispiel adoptierte Kinder und Zwangsadoptionen. Das ist sehr schwer nachzuweisen und zu klären, selbst mit den Stasiakten. Es ist zudem viel vernichtet worden, bevor das MfS besetzt und die Akten geöffnet werden konnten. Aber das sind dennoch Prozesse, bei denen ich ein gutes Gefühl habe. Bei denen es die Chance gibt, dass die Menschen, die so etwas erfahren haben, Recht bekommen. Das ist auch ein Zeichen, dass ein Rechtsstaat funktionieren kann.“
„Die Aufarbeitung der SED-Vergangenheit durch DIE LINKE,
das ist nach wie vor dran!“
Wie hast du nach der Wende die Parteibildung und -Strukturierung der PDS wahrgenommen? Welche Verantwortung erwächst deiner Meinung nach durch dieses politische Erbe für DIE LINKE?
„Für mich war damals – wie für viele andere auch – eine Schlüsselfrage: Gibt es eine Parteineugründung oder gibt es einen Fortgang der SED? Wir, die sich als links verbunden gefühlt haben, haben damals nicht verstanden, warum es im Dezember 1989 keinen radikalen Neuanfang gab. Das hat sich auch in den Biografien gezeigt, die sich von der SED in die PDS hinein fortsetzten. Das führte zu einem neuen Selbstbewusstsein derer, die damals in dem System der DDR stark mit involviert waren. Das betrifft zum Beispiel Volker Külow, da ist der Prozess für mich immer noch nicht abgeschlossen. Es steht immer noch etwas aus bei ihm, nämlich die Anerkennung der Würde der Opfer, die er selbst mit hervorgebracht hat. Auch er hat benachteiligte, entwürdigte Leute mithervorgebracht und da fehlt mir immer noch eine ganz ehrliche Entschuldigung. Die hat er bisher noch nicht über die Lippen gebracht, stattdessen hat immer gesagt, er stehe zu dem, was er damals gemacht hat und finde das in Ordnung. Bis diese Entschuldigung passiert, so lange sind die Wunden auch noch offen. Auch bei den Betroffenen kommt oft erst spät die Erkenntnis, dass sie Teil von staatlicher Repression waren. Sie wollen nicht vordergründig Opfer sein. Genauso muss bei Täter*innen differenziert werden. Die Forschung in der BSTU gibt dafür gute Leitfäden. Das ist wichtig für eine Gesellschaft, das ist ein Versöhnungsprozess, der zum Teil noch aussteht. Und deshalb sitze ich jetzt auch hier, obwohl es von vielen, aus Kreisen, denen ich mich lange Zeit sehr verbunden gefühlt habe, kritisch gesehen wird, überhaupt mit Linken ins Gespräch zu gehen. Das ist für viele undenkbar, weil so vieles noch immer unausgesprochen ist. Aber ich sehe schon, dass es jetzt auch eine Chance gibt, dass noch einmal anzupacken. Das ist meiner Ansicht nach auch bei der linken Partei eine wichtige Aufgabe: Sich nicht mehr aus dem Blick auf die DDR, auf Transformationsgeschichte und auf das, was sich daraus entwickelt hat, rauszuhalten, sondern sich einzumischen und eine Haltung zu haben. Sich auch im Stadtrat von Leipzig einzumischen und zu sagen: „Wir haben eine Meinung zur runden Ecke!“. Und eine Klärung zu unterstützen und sich nicht mehr zurückzuhalten, nur weil wir eine SED-Vergangenheit hatten. Ich glaube, das ist jetzt dran! Das muss parteiintern passieren und das muss auch nach außen hin passieren.“
Es ist eine wichtige Frage, wie man heute, 30 Jahre nach dem Ende der DDR, mit den Menschen umgeht, die eine Stasi-Vergangenheit haben. Im Bundestag gibt es nach wie vor eine entsprechende Überprüfung. Auch wenn manche Personen berechtigterweise mit ihrer Vergangenheit konfrontiert werden, weil sie das Erbe gedanklich fortführen und sich nicht distanziert haben, stellt sich die Frage: Wie geht man ganz grundsätzlich mit so einer Biografie – auch in der Partei – um?
„Also ich habe da schon die Hoffnung auf den Generationswechsel auch innerhalb der Linken. So sind beispielsweise auch schon die Fragen von jungen Leuten heute ganz anders. Zum einen ist das Interesse dafür gewachsen, was die Großelterngeneration gemacht hat, inwiefern sie im System involviert war. Da werden die Fragen auch aus einem anderen Bildungskontext gestellt, die Menschen sind anders angekommen in der Gesellschaft. Dieser Dialog der Generationen birgt für mich auch die Chance, die Angelegenheiten zu klären und miteinander zu versöhnen. Ich denke das sind einfach Prozesse, die wir jetzt durchlaufen müssen. Und da habe ich für die Linke im Allgemeinen, aber auch für die Partei DIE LINKE, Hoffnung, dass durch die nachwachsenden Generationen diese Fragen noch mal an die Altkader gestellt werden. Und die sich dadurch auch noch mal positionieren. Denn die politische Identität der DDR war ja eine andere als die kulturelle, die jetzt so viel Nostalgie produziert. Und ich glaube, dass jetzt von der jungen Generation noch einmal nach der politischen Identität gefragt werden sollte, die der überwiegende Teil der Ossis ja schnell abgestreift hat.
Ich finde auch, dass man das Gesetz zur Überprüfung der ins Parlament gewählten Personen so lange aufrechterhalten sollte, bis die Generation der 18-Jahrigen von damals nicht mehr in den Parlamenten sitzt. Also das tut uns nicht weh – im Gegenteil! Das kann wichtige Gespräche, Auseinandersetzungen und eine Aufarbeitung anregen. Dieser gesellschaftliche Prozess ist noch nicht abgeschlossen und sollte weiter aufrechterhalten werden. Das ist immer noch einer der zentralsten Punkte, die die Partei klären muss, der Umgang mit der Stasi-Vergangenheit.“
Eine Stasi-Vergangenheit bedeutet auch im nichtparlamentarischen Kontext noch heute persönliche Einschnitte für viele Menschen, wie zum Beispiel den Ausschluss vom öffentlichen Dienst. Zum anderen gibt es gerade in Sachsen eine Stimmung, bei der jungen Abgeordneten im Landtag noch DDR und Stasi-Zugehörigkeit zugeworfen wird. Das alles ist Teil einer gesellschaftlichen antikommunistischen Stimmung, in der es schwer ist, die eigene Vergangenheit offenzulegen und sich kritisch damit auseinanderzusetzen.
„Ich denke auch, dass es noch einmal so etwas wie eine Enquete-Kommission geben könnte, die die Situation noch einmal neu bewertet und die Kriterien noch mal überarbeitet. Dabei geht es auch um den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung. Wir sind da jetzt auf einem anderen Niveau und haben auch eine breitere Perspektive auf alles. Ich weiß jetzt nicht inwiefern die Überarbeitung dieser Kriterien politisch möglich ist. So dass beispielsweise so etwas wie ein Wehrdienst beim Wachregiment noch mal neu eingeschätzt wird. Das fände ich durchaus sinnvoll.“
Aufarbeitung des Gesprächs und Text: Djamila Heß