This is the German version of our paper “Ukraine and Russia: Comments on the Necessary Readjustments in the Forein Policy of the LEFT [DIE LINKE]” that we published in October 2022. Please find the English version here.
Als linXXnet war unser politisches Verhältnis zu Russland nie ein Einfaches. Der 24. Februar 2022 hat uns erstarren lassen. Wie die vielen Analyst*innen, Kommentator*innen und Expert*innen haben wir den Angriff Russlands auf die gesamte Ukraine nicht kommen sehen.
Wir haben diskutiert, Positionen formuliert, korrigiert und neujustiert und versuchen mit diesem Text einen Beitrag zur schwierigen Debatte um eine linke Position zum russischen Krieg gegen die Ukraine im Konkreten und eine aussenpolitische Position einer linken Partei im Allgemeinen zu formulieren. Wir wollen damit keine starre Perspektive liefern, sondern einen Beitrag zur notwendigen Debatte und wünschen uns Hinweise, Kritik und Diskussion!
Als linXXnet war unser politisches Verhältnis zu Russland nie ein Einfaches. Nachhaltig prägte der politische Austausch einiger unserer Kollektivmitglieder mit kritischen Linken in Russland unsere Position. Über viele Jahre fanden im Rahmen der Arbeit der AGRu (ehemals AG Russland1) und mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Camps und Workshops in Russland statt, bei denen kritische, oppositionelle Russ*innen unsere Partner*innen und Freund*innen wurden. Wir müssen uns heute fragen: Waren wir zu leise? Haben wir die praktisch erlebte Repression des russischen Staates auch gegen unsere Arbeit zu wenig kommuniziert? Haben wir das, was wir über Jahre an kritischen Positionen zum autokratischen Regime Putins, zum Umgang mit LGBTIQ+, freiheitsorientierten Linken in Russland und alternativen Kultur- und Medienschaffenden erfahren haben, nicht vehement genug in den Debatten, auch in unserer Partei, vertreten? Auch vor dem Hintergrund der schon seit 2014 währenden kriegerischen Aggression Russlands gegen die Ukraine, des Feldzugs Russlands gegen syrische Städte und Landstriche an der Seite des Diktators Assad oder gegen Erhebungen in ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken wie zuletzt in Kasachstan.
Der 24. Februar 2022 hat uns erstarren lassen. Wie die vielen Analyst*innen, Kommentator*innen und Expert*innen haben wir den Angriff Russlands auf die gesamte Ukraine nicht kommen sehen. Doch dieser Krieg begann 2014, mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der Unterstützung der Separationsbestrebungen im Donbass-Gebiet. Russland reagierte schon damals aggressiv auf die europafreundlichen, demokratie-orientierten Proteste gegen die Nicht-Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und EU und die Politik unter dem damaligen Präsidenten Janukowytsch. Wir hätten es also sehen müssen; sehen müssen, dass Putin sich nicht zufriedengibt.
Ziel der Maidan-Proteste von 2013/14 war nicht allein oder vor allem der Beitritt zu EU und/oder NATO, sondern eine Demokratisierung, das Ende der Korruption der politischen Klasse und der Selbstbereicherung des Präsidenten. Während weiter Teile der ukrainischen Bevölkerung in Armut leb(t)en, lebte Janukowytsch in Saus und Braus – ein Sinnbild der ukrainischen Politiker*innenklasse seit der Unabhängigkeit des Landes 1991.
Die ungeheure innen- und schließlich auch außenpolitische Wirkungsmacht des Euromaidan kam vor allem durch die gewaltvolle Reaktion Janukowytschs auf die anfänglich eher kleinen Proteste zustande.
Schon seinerzeit gab es aus der LINKEN vereinzelte Stimmen, die die Annexion der Krim und die Besetzung der ostukrainischen Gebiete durch Russland legitimierten und insgeheim auf eine weitere Expansion Russlands hofften. Friedensaktivist*innen propagierten Putin-like, dass die Euromaidan-Proteste von Faschisten initiiert und/oder vom Westen gesteuert wären – eine damals wie heute indiskutable Position und falsche Analyse der sehr pluralen Bewegung. Das heißt nicht, dass die Augen davor verschlossen werden sollten, dass 2013/14 auch Neofaschist*innen unter den Demonstrierenden waren und dass das klar extrem rechte Freiwilligenbataillon Asow sich in Reaktion auf die russische Aggression 2014 aufstellte und in den Kämpfen in der Ostukraine eine gewichtige Rolle spielte. Die Proteste darauf zu verengen, ist aber grundfalsch.
Auch nach den erfolgreichen Protesten 2013/14 blieb die Ukraine gespalten, was den Beitritt zur Europäischen Union oder zum Verteidigungsbündnis NATO betrifft2. Dies ist ein Spiegel der ukrainischen Gesellschaft, deren schmerzvolle Geschichte zwischen Unabhängigkeit und Zugehörigkeit zur Sowjetunion, zwischen den Verbrechen Stalins wie Hitlers und seiner Kollaborateure, vor allem zwischen den Generationen zerrissen ist. Heute muss man sagen: war. Der 2022 von Putin auf das gesamte Land ausgeweitete Krieg hat diese Zerrissenheit aufgeweicht. Ein großer Teil der ukrainischen Gesellschaft steht nach dem 24. Februar klarer für den EU- und eingeschränkt auch für den NATO-Beitritt. Putin und seine Getreuen haben mit ihrem brutalen Krieg die Meinungsbildung im Land verändert.
Doch der Blick auf EU- und NATO-Beitritt als Stimmungsindikatoren für die Ukraine ist zu simpel. Wie hat sich das Land politisch seit 2014 entwickelt? Sind die Ziele der Maidan-Proteste erreicht und ist das Land demokratischer und sozialer geworden? Diese Frage muss mit “Jein” beantwortet werden. Weiterhin bleiben Korruption und Oligarchentum in Politik und Wirtschaft, wie sie sich mit der Unabhängigkeit der Ukraine ab 1991 Bahn gebrochen haben, ein ernst zu nehmendes Problem. Die Regierungen waren instabil. Erst Wolodymyr Selenskyj brachte nach seiner Wahl 2019 vorsichtige Initiativen gegen Oligarchen und deren politische Einflussnahme auf den Weg. Wirtschafts- und Sozialpolitik im Land blieben und bleiben von Deregulierung und Privatisierung geprägt, mit Selenskyjs Wahl muss sogar von einem Schub der Privatisierung von staatlichen Betrieben gesprochen werden, ganz um den Forderungen von USA, EU und IWF entgegenzukommen. Denn die Ukraine ist hoch verschuldet. Die Lebensverhältnisse der meisten Menschen haben sich dagegen nicht verbessert. Der Vorsitzende der linken „Sozialen Bewegung“ (Sotsialniy Rukh), Arbeitsrechtler Vitaliy Dudin, berichtete im Mai in der Zeitung “Analyse und Kritik”, dass Beschäftigte ihre ohnehin oft sehr niedrigen Löhne häufig nicht ausgezahlt bekämen; insgesamt schuldeten Arbeitgeber*innen ihren Beschäftigten vier Milliarden Hrywnja (rund 140 Millionen Euro). Die Hälfte dieser Lohnschulden beträfe den Öffentlichen Sektor und die staatlichen Unternehmen. Der Kriegszustand verschärft die sowieso sozial prekäre Situation: Die Rechte von Arbeiter*innen wurden ausgehöhlt. Es gibt kein Recht auf reguläre Lohnzahlungen mehr, Streiks sind verboten, verbriefte Rechte bei Arbeitsverhältnissen ausgehebelt.
Auch was Freiheitsrechte betrifft, gibt es in der Ukraine weiterhin Defizite. In den vergangenen Jahren und aktuell im Kriegszustand wurden immer wieder Parteien und Organisationen, denen eine Nähe zu Russland nachgesagt wird oder die eine tatsächliche Nähe haben, verboten oder mit Aktivitätsverboten belegt. Wer sich links betätigt, gerät schnell in den Verdacht der Russland-Nähe. Ein Problem, das sich im Übrigen durch viele osteuropäische Staaten zieht und das verstärkter linker Bündnisbemühungen bedarf. Mit dem 2015 in Kraft getretenen Dekommunisierungsgesetz werden nicht nur Kommunismus/ Staatssozialismus und Nationalsozialismus gleichgesetzt, sondern auch zahlreiche, unter anderem nach Lenin benannte Straßen umbenannt oder Denkmäler demontiert, die an den sowjetischen Sieg gegen die Nationalsozialisten oder an sozialistische Protagonisten erinnern. Dass in diesem Zuge auch der Moskauer Prospekt in Kyiv nach Stepan Bandera benannt wurde, einem ukrainischen Nationalisten und Antisemiten, der mit Hitler kooperierte und mit der von ihm geleiteten Organisation OUN-B verantwortlich für Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung in der Ukraine war, ist kein Einzelfall. Interessant ist jedoch auch, dass seit den Maidan-Protesten 2013, kein Bandera-Denkmal mehr in der Ukraine errichtet wurde.
Progressive Bewegungen für Klimagerechtigkeit, für Feminismus oder für sexuelle Vielfalt allerdings finden in der Ukraine zunehmend Raum und haben wie vielerorts mit reaktionären Widerständen aus der Gesellschaft zu kämpfen. Auch die Freiheit der Religionen ist im Land gewahrt. In Kriegszeiten rücken die verschiedenen Gemeinden, ob jüdische, muslimische oder ukrainisch-orthodoxe, näher zusammen, wie es die gesamte Gesellschaft tut. Obwohl die Solidarität und der Zusammenhalt der Gesellschaft durch den Kriegszustand groß sein mögen, kann dieser Krieg auch innenpolitisch negative Folgen haben: den Aufschwung rechter, autoritärer Akteure, eine Spaltung von multiethnischen (russisch-ukrainischen) Communities und Familien, ein weiterer erinnerungspolitischer Rollback und dramatische wirtschaftliche und soziale Verwerfungen.
Die Gretchenfrage ist: Waffenlieferungen oder nicht?
Eine der gerade in Deutschland am schärfsten diskutierten Fragen im Zuge des russischen Angriffskriegs war und ist, ob Waffen an die Ukraine geliefert werden sollten. Auch, nicht nur, in unserer Partei befürchten Menschen, dass dies zu einer weiteren Eskalation des Konflikts führen würde.
Hier hilft vielleicht ein Blick in die UN-Charta: Artikel 51 erlaubt im Falle eines bewaffneten Angriffs die Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die „erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“.
Nun ist unstrittig, dass sich die Ukraine selbst gegen die russische Aggression verteidigen will und auch kann. Ebenso offensichtlich ist die Dimension und Feuerkraft der russischen Armee und auch, wozu sie fähig ist. Aleppo und Homs in Syrien sind Ausdruck dessen. Allein schon, weil die Ukraine über keine Sicherheitsgarantien verfügt, wie sie sie hätte, wenn sie zum Beispiel Mitglied in einem Bündnis wie der NATO wäre, ist damit zu rechnen, dass es bei der Selbstverteidigung bleiben wird – ungeachtet dessen, dass ein Angriff von ukrainischer Seite auf russisches Territorium kein artikuliertes Kriegsziel der ukrainischen Regierung ist. Um aber der russischen Aggression etwas entgegensetzen zu können, benötigt die Ukraine Unterstützung.
Selbstverteidigung ist die eine Option. Die andere Option wäre, zu kapitulieren und den oben beschriebenen Weg in Richtung Demokratisierung und Rechtsstaat und gegen Korruption und Oligarchentum aufzugeben – zugunsten der nach innen immer autoritärer agierenden Diktatur Putins. Mit einer solchen Forderung auch aus Reihen der LINKEN werden wir uns niemals gemein machen.
Nein, letztere Option wäre fatal. Nicht zuletzt, weil die Ukraine – selbstbestimmt – den Weg in Richtung Europäische Union begonnen hat zu gehen. Und: Die Europäische Union ist nicht Deutschland. Polen, Litauen, Lettland, Estland, Slowenien und mehr osteuropäische Länder haben keine Zweifel daran gelassen, wie die Solidarität gegenüber der Ukraine aussehen muss.
Zur Frage der Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen erneut ein Blick ins Recht:
Hier müssen die Haager Abkommen von 1907 herangezogen werden. Im V. Haager Abkommen “betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkriegs” gibt es keinerlei Aussage dazu, dass Waffenlieferungen verboten sind; anders im XIII. Haager Abkommen zum Verhalten neutraler Mächte im Seekrieg. Da unterbindet Artikel 6 ausdrücklich die Abgabe von Kriegsgerät, welches auf der See verwendet werden kann. Unstrittig ist, dass internationales Recht hier nicht einheitlich ist, sondern offene Fragen hinterlässt. Fakt ist aber nach wie vor im Jahr 2022: Allein durch Waffenlieferungen macht sich eine neutrale Macht nicht zur Kriegspartei.
Zum letzten Punkt von Art. 51 der UN-Charta: Selbst verteidigen könne sich ein Land so lange, bis der Sicherheitsrat die „erforderlichen Maßnahmen getroffen hat”. Nun ist die Russische Föderation eines von fünf ständigen Mitgliedern in diesem Sicherheitsrat und kann per Veto jegliche erforderliche Maßnahme verhindern, die zum Ziel hat, die eigene Aggression zu stoppen.
Hier zeigen sich mehrere Ansatzpunkte für eine linke Außen- und Sicherheitspolitik. Denn ein UN-Gremium, das zum Ziel hatte, dass die fünf Siegermächte des Zweiten Weltkriegs im Zweifel Weltpolizei spielen und auf die Umsetzung internationalen Rechts achten, funktioniert nicht; nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg. Der UN-Sicherheitsrat, wie er heute ausgestaltet ist, war in den meisten Krisen und Kriegen, über die er zu entscheiden hatte, dysfunktional, was sich zum Beispiel auch im Syrien-Krieg gezeigt hat.
Eine Reform des internationalen Rechts, der Vereinten Nationen, ist überfällig. Auch in die Debatten um die Durchsetzung des Atomwaffensperrvertrages und des Atomwaffenverbotsvertrages muss wieder Bewegung kommen. Letzteres auch durch die Unterzeichnung der internationalen Vereinbarung durch die Bundesrepublik Deutschland.
Angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges bei gleichzeitiger Unmöglichkeit, diesen Bruch des Völkerrechts effektiv zu sanktionieren; angesichts des Weges, den die Ukraine in Richtung Europäische Union erklärt hat, wie der außen- und sicherheitspolitischen Interessen der osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten und endlich angesichts des Spielraums, den auch die Bundesrepublik auf Grund von Sicherheitsgarantien hat, halten wir begrenzte Waffenlieferungen zur Verteidigung für gerechtfertigt.
Wir sind uns dabei gleichzeitig darüber bewusst, dass Waffen, einmal aus der Hand gegeben, auch für andere Zwecke als für die Selbstverteidigung genutzt werden können und ein zukünftiger Missbrauch nach Kriegsende nicht ausgeschlossen werden kann. Zudem könnten sie während des Krieges auch in die Hände russischer Truppen oder Milizen fallen oder auf dem Schwarzmarkt verkauft werden. Die Ukraine will aber von der Europäischen Union und der Bundesrepublik mehr als ausschließlich Waffen. Hier auf die ukrainische Regierung einzuwirken und durch kluges Agieren gegenüber einem Verbündeten eine weitere Eskalation zu verhindern, ohne dabei Abstriche bei der harten Währung Waffen zu machen, ist mit den Mitteln der Diplomatie möglich.
Wir sind uns klar darüber, dass wir uns mit diesem Absatz stark positionieren. Unsere Praxis ist es, Texte im Konsens zu erarbeiten, aber wir machen an dieser Stelle transparent, dass dies nicht immer klappt und es auch im Kollektiv Menschen gibt, die Waffenlieferungen prinzipiell ablehnen.
Jenseits der Waffenfrage
Die Sanktionen gegen Putin und seine Getreuen waren schnell ergriffen. Schon 2014 wurden erste Einzelpersonen und Organisationen auf eine Liste der Europäischen Union gesetzt. Einreise- und Geschäftsverbote in der EU gingen damit einher. Diese Liste ist nun um ein Vielfaches erweitert worden, über 100 Organisationen und 1.200 Personen befinden sich darauf.
Auch beim Handel wurde eingeschränkt. Spitzentechnologie darf nicht mehr nach Russland exportiert werden, in die andere Richtung wird sich schrittweise vom Import russischen Öls verabschiedet. Schon heute kann Russland keinen Zement, Stahl und kein Holz mehr in die EU verkaufen.
Gleichzeitig sind Sanktionen ein scharfes wie zweischneidiges Schwert und können auf den Sanktionierenden zurückschlagen. Nicht alles, was möglich ist, sollte also gleich getan werden; aber nicht nur, um Schaden von sich selbst abzuwenden. Gewisse Maßnahmen können auch zurückgehalten werden, um für künftige Entwicklungen, möglicherweise gar Verhandlungen, sofern Putin sie will, eine Drohkulisse in der Hinterhand zu haben.
Weiterhin sind internationale Warenketten genauer zu betrachten und zu analysieren, wo sie unterbrochen werden können, um der russischen Wirtschaft zu schaden. Dabei spielt der Blick in die Türkei eine entscheidende Rolle, die einerseits gerade viele durch Sanktionen belegte Güter weiter befördert, andererseits entscheidend zum Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine beigetragen hat.
Wen wir deutlich kritisieren sind die, die am Krieg verdienen. Dazu zählt die Rüstungsindustrie, dazu zählen BASF und weitere Konzerne, die Rohstoffe raffinieren und Güter produzieren, die den Krieg am Laufen halten. Als LINKE ist für uns klar, dass aus Krieg kein Profit geschlagen werden darf. Enteignung ist unsere Antwort.
Abseits der Wirtschafts- und Handelspolitik tobt ein Kampf um die Deutung des Krieges. Putin und sein Regime rechtfertigen den Krieg unter anderem damit, dass ein Genozid am russischen Volk verhindert werden müsse. Keinerlei seriöse Quelle hat Morde oder Internierungen von ethnischen Russ*innen in der Ostukraine auch vor dem Krieg dokumentiert. Grundsätzlich ist ein solches Verbrechen auch nicht geheim zu halten. Sofern Putin auf einen angeblichen Genozid referiert, der das Auslöschen einer Gesellschaft durch Verbot von Sprache und Kultur anstrebt, so war dies in der Ukraine auch nicht der Fall, siehe die Ausführungen im 1. Kapitel. Dass auch in der Ost-Ukraine mehr Ukrainisch gesprochen wurde, ist tatsächlich Konsequenz der russischen Aggressionen seit 2014.
Wir halten es für essentiell, eine kritische Öffentlichkeit in Russland zu fördern. Diese muss einen möglichst einfachen wie sicheren Zugang zu unabhängigem Journalismus haben. Aus Russland sowie Belarus geflüchtete Medienschaffende sollten hierzulande auch staatliche Unterstützung für die Produktion und Vervielfältigung von kritischen Perspektiven bekommen. Auch die Versuche, Zensur, Verbote und Blockaden von analogen und digitalen Medien zu unterlaufen, sollten unterstützt werden, um in Russland alternative Informationsquellen zu stärken.
Die Fluchtbewegung aus Russland und Belarus muss hinsichtlich Aufenthaltstitel, humanitärer Visa und freier und sicherer Fluchtrouten mit aller Kraft unterstützt werden. Deserteur*innen und Kriegsdienstverweigerer*innen sollten beispielsweise den Flüchtlingsstatus erhalten, ebenso sind Aufnahmeprogramme von EU, Bund und Ländern möglich. Dies geht einher mit unserer außenpolitischen Leitlinie, dass generell Fluchtbewegungen aus autoritären Regimen durch eine Bundesregierung effektiv zu unterstützen sind, so zum Beispiel auch bei Afghanistan.
Aber die geopolitischen Interessen
Im Zusammenhang mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine wird von einzelnen Akteur*innen aus verschiedenen politischen Spektren, auch aus unserer Partei, immer wieder auf die Vorgeschichte dieses Krieges hingewiesen und mal mehr und mal weniger Relativierung betrieben. Fakt ist: Dieser Krieg bzw. die Ausweitung des Krieges gegen die gesamte Ukraine hat eine Vorgeschichte, wie es jedes historische Ereignis hat. Fakt ist aber auch, dass keine Vorgeschichte den brutalen, völkerrechtswidrigen Krieg legitimiert. Und diese Feststellung darf nicht zur Floskel verkommen.
Zur Vorgeschichte gehört nicht allein die NATO-Osterweiterung, sondern auch der Kriegszug Russlands unter Putin: Tschetschenien, Georgien, Syrien, die Krim und die Ostukraine. Putins Versuch des Regime change in der Ukraine erinnert vielleicht nicht zufällig an das von seinen vermeintlich linken Unterstützer*innen immer wieder in Stellung gebrachte Gebaren der USA.
Denn die Liste der Kriege und Angriffe, die die USA, teils mit dem gesamten NATO-Bündnis, auch mit dem Ziel des Sturzes bestehender Regierungen und ohne UN-Mandat geführt hat, ist lang. Am eindringlichsten mahnen der NATO-Angriff im Kosovo 1999, die Bombardierung der serbischen Hauptstadt Belgrad sowie der Angriff auf Afghanistan 2001 mit dem missionarischen Ziel des Nation-building und des Demokratieexports. Herausstreichen wollen wir an dieser Stelle auch, dass die NATO durch ihre eigenen und stärksten Mitglieder regelrecht geschwächt wird, wenn diese völkerrechtswidrige Alleingänge unternehmen, wie beim Angriff auf den Irak 2003 durch die sogenannte “Koalition der Willigen” unter US-Präsident George W. Bush. Westliche Militäreinsätze wie in Syrien 2018 in Reaktion auf den Einsatz von Chemiewaffen des Assad-Regimes zeigten zudem – auch wenn hier gute Gründe für den Einsatz sprechen, dass internationales Recht nach wie vor blinde Flecken aufweist und fortentwickelt werden muss.
Der vom Völkerrecht wiederum gedeckte NATO-Einsatz in Libyen zeigt, dass die Fortentwicklung internationalen Rechts tatsächlich möglich ist, geschah der Einsatz doch unter Maßgabe der Responsibility to Protect, einer Rechtsnorm, die nach dem Desaster in Jugoslawien geschaffen wurde. Sofern Anzeichen für Verbrechen gegen die Menschheit bestehen, hat die internationale Staatengemeinschaft das Recht, diese zu verhindern. Die auf Basis des UN-Sicherheitsrates beschlossene Flugverbotszone (UN-Resolution 1973) verhinderte ein Massaker an der Bevölkerung von Bengasi, obwohl der Einsatz vor allem französischer und britischer Einheiten keine friedliche Lösung für Libyen brachte; ein Punkt, der aber auch nicht durch das Mandat der Vereinten Nationen gedeckt war.
Uns ist klar, dass es nicht um ein Aufrechnen gehen kann, eine progressive Linke muss universalistisch argumentieren. Bomben und Waffen sind der falsche Weg der Konfliktlösung (und wenn es gewaltvoller Konfliktlösungen bedarf, weil alle anderen Mittel versagen, muss das auf Basis der UN-Charta geschehen – siehe vorheriges Kapitel). Die außenpolitische Doppelmoral der Linken muss ein Ende haben. Das aggressive, menschenrechtsfeindliche und antidemokratische Agieren von vermeintlich sozialistischen Regimen darf nicht weiter legitimiert werden, nur weil es in den gut gepflegten Antiimperialismus passt. Die außenpolitische Sprachlosigkeit der Linken muss ein Ende haben. Frieden sowie zivile Konfliktlösungsmechanismen müssen den Vorrang haben. In Situationen, in denen Diplomatie versagt, wie in Nordsyrien oder in der Ukraine, müssen wir Antworten finden.
Es ist nicht zu leugnen, dass sowohl im ehemaligen Ostblock als auch im sogenannten Nahen Osten und auf dem Kontinent Afrika, sprich überall auf der Welt auch wirtschaftliche und machtpolitische Interessen vertreten und auch militärisch durchgesetzt werden. Dies ist Teil einer kapitalistischen Realität, ist Teil der langen Geschichte westlicher Vormachtstellungskämpfe und imperialer und neokolonialer Strategien. Russland wie China sind längst Teil davon und bringen sich insbesondere gegen die USA, die von ihr dominierten Institutionen wie die NATO, in Stellung. Ja, und auch die Ukraine und andere ehemalige sowjetische Teilrepubliken gehören wie afrikanische und asiatische Gebiete zu diesen umkämpften Einflusssphären.
Die Ausdehnung der NATO auf den ehemaligen Ostblock war nach dem Systemwechsel 1989 zunächst kein erklärtes Ziel der USA, der Drang der betreffenden Staaten, eine Sicherheitsgarantie gegen den Einfluss des russischen Nachbarn zu bekommen, allerdings groß. Ungarn, Polen und Tschechien traten 1999 selbstständig bei, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien 2004, und auch Kroatien und Albanien, Montenegro und Nordmazedonien folgten zuletzt. Georgien und die Ukraine streben den Beitritt zum westlichen Sicherheitsbündnis mit Unterstützung der USA an. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass Putin die NATO-Beitritte in seiner unmittelbaren Nachbarschaft – siehe Finnland und Schweden – beschleunigt oder überhaupt erst erzeugt hat. Die Perspektiven Georgiens und der Ukraine sind dagegen weiterhin ungewiss, sie waren auch in der von Russland zugespitzten Phase vor dem 24. Februar 2022 nicht Gegenstand von konkreten politischen Maßnahmen und Verfahren. Der Popanz, den Putin in den Monaten vor dem Angriff auf die gesamte Ukraine aufgebaut hat, war ein lautes Säbelrasseln um die prinzipielle Frage, wie weit die US-dominierte NATO als das weltweit größte Militärbündnis an Russland heranrücken soll. Dabei gab es Anfang der 1990er ernsthafte Erwägungen über einen Beitritt Russlands zur NATO selbst. 1997 unterzeichneten die NATO und Russland unter dem russischen Präsidenten Boris Jelzin eine Grundakte zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens, mit der auch der NATO-Russland-Rat geschaffen wurde. Jelzins Nachfolger Putin hat diesen Weg aufgekündigt.
Ja, auf die Demokratisierungs- und Freiheitsbewegungen aus der ukrainischen Gesellschaft folgten Einflussnahmen sowohl des Westens (USA und EU) als auch Russlands. Doch es macht einen gehörigen Unterschied, ob Geld, Förderung, Aufbau von Strukturen oder ein kriegerischer Angriff das Mittel dieser Einflussnahmen sind. Die Orientierung von wachsenden Teilen der ukrainischen Gesellschaft auf Wohlstand und Demokratie anstelle der Einhegung als Vasallenstaat eines autoritären, unfreiheitlichen Russlands ist Fakt und wurde durch den brutalen Krieg Russlands verstärkt.
Selbstverständlich wäre ein Sicherheitsverbund jenseits der Kalten-Kriegs- und Aufrüstungslogik in unserem linken politischen Interesse. Die NATO ist mit ihrer Aufrüstungsdoktrin, mit Truppenaufmärschen und ihrer Geschichte keine Option. Der Zusammenbruch des Ostblocks wäre die Chance gewesen, die Weltverhältnisse neu zu justieren und ein globales Sicherheitssystem unter Einschluss der konkurrierenden Player in West und Ost zu schaffen. Auch wenn die Wunde über dieses Scheitern tief ist, müssen wir vermeiden, die Kalte-Kriegs-Logik wieder und wieder zu forcieren und müssen die Entwicklungen in den ehemaligen Oststaaten wie deren Sicherheitsinteressen nicht nur zur Kenntnis, sondern auch ernst nehmen.
Als antikapitalistische Linke dürfen wir nicht ausblenden, dass die Ukraine auch als weltweit einer der führenden Getreide- und Maisproduzenten ein umkämpfter Raum ist, das Land verfügt über die nährstoffreiche Schwarzerde. Finanzmarktinvestoren und Konzerne aus dem Westen und Russland lieferten sich hier in den letzten Jahren einen harten Konkurrenzkampf. Die Orientierung nach Westen bedeutet für die Ukraine eine weitere Liberalisierung und Konzentration im Landwirtschaftsbereich. Leidtragende sind kleine ukrainische Produktionsstrukturen. Doch auch Russland trieb seine wirtschaftlichen Interessen aggressiv voran.
Daraus folgt, dass wir uns als Linke der neoliberalen Logik und der entsprechenden Beitrittskriterien der Europäischen Union erwehren müssen, aber nicht der EU als Staatenverbund oder eines Beitrittswillens aus der ukrainischen Gesellschaft. Daraus folgt ebenso, dass wir auf politischer Ebene an einer Reform und Stärkung der Europäischen Union, vielleicht auch als Republik, arbeiten und die sozialen und demokratieorientierten Kämpfe in der Ukraine unterstützen müssen.
Energiepolitische Maßnahmen, um sich aus der Abhängigkeit Russlands zu lösen
In den letzten Jahrzehnten ist die Energiewende nur schleppend vorangekommen, sodass Deutschland immer noch auf fossile Rohstoffe angewiesen ist. Abhängig von anderen Staaten ist Deutschland insbesondere bei Erdgas. Eingekauft wird zwar nicht mehr beim russischen Regime (weil dieses nicht mehr liefert), dafür aber künftig bei anderen Machthabern reaktionärer Staaten (Katar, Aserbaidschan). Dass Deutschland tatsächlich auf russisches Gas verzichten kann, zeigt sich beim aktuellen Lieferstopp des Staatskonzerns Gazprom, obwohl es auf Erdgas – anders als es Wagenknecht und Co. behaupten – derzeit keine Sanktionen gibt.
Die Speicherung von Gas ist in Deutschland ausschließlich privatwirtschaftlich organisiert. Das muss sich dringend ändern. Energieversorgung und -speicherung gehören in öffentliche Hand! Die Speicher waren für die Wintermonate nie groß gefüllt, weil ja billiges Gas aus Russland jederzeit floss. Durch den Angriffskrieg Russlands hat sich das geändert. Deswegen gibt es jetzt ein Speichergesetz, das besagt, dass die Speicher über den Sommer und Herbst aus allen innereuropäischen Quellen West- und Nordeuropas zu füllen sind, um so die Wärmeversorgung über die Wintermonate zu sichern.
Das Gasspeichergesetz führt nun erstmalig dazu, dass nach derzeitigem Kenntnisstand die Gasspeicher in Deutschland zu über 95 % gefüllt sein werden, womit man auch durch den Winter kommt. Voraussetzung ist allerdings, der kommende ist so „mild“ wie die letzten Winter. Bei einem „harten“ Winter wird es aber trotz voller Gasspeicher zu Engpässen kommen und damit zur Entscheidung, wer wann wie viel Gas und damit Wärme erhält. Wir wehren uns dagegen, vom Grundsatz abzuweichen – so wie es immer mal wieder durch die Bundesregierung diskutiert wird, dass private Konsumenten und soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser nicht mehr die oberste Priorität bei der Versorgung erhalten sollen, sondern Industriekonzerne. Bei einer Gasmangellage müssen die Haushalte geschützt werden und Großkonzerne vorübergehend ihren Betrieb einstellen. So und nicht anders ist eine gerechte Aufteilung mit einem knappen Gut sicherzustellen.
Letztlich befindet sich Deutschland aber nicht in einer Versorgungs-, sondern vor allem in einer Preiskrise. Durch den bisher „unfreiwilligen“ Anbieterwechsel sowie Spekulationen an den Energiebörsen sind die Einkaufspreise bei unseren europäischen Nachbarländern – woher wir derzeit das Gas beziehen – förmlich explodiert. Die gestiegenen Preise sollten nach den ursprünglichen Plänen der Regierenden an die Endkund*innen weitergegeben werden, was ganze Existenzen zerstört hätte. DIE LINKE und andere progressive Akteur*innen haben sich aber mit der Forderung eines Preisdeckels durchgesetzt, welcher nun kommen soll. Dabei muss sichergestellt werden, dass Energie und damit Wärme und Strom für die Menschen bezahlbar bleibt. Dafür braucht es enorme finanzielle Anstrengungen, die u. a. via einer Übergewinnsteuer finanziert werden könnten.
Um unabhängig von Gaslieferungen aus Katar, Aserbaidschan, Russland, den USA und Co. zu werden, müssen die erneuerbaren Alternativen schleunigst ausgebaut werden. Zur Speicherung und Verwendung der Energie aus Wind, Sonne und Wasser braucht es endlich ein funktionierendes Wasserstoffnetz, was Investitionen erfordert und teilweise in das bestehende Erdgasnetz zu Wärmeerzeugung und Speicherung integriert werden kann. Dieser Aufbau muss staatlich organisiert und darf nicht neoliberalen Marktlogiken unterworfen werden. Es zeigt sich schon heute, dass man unabhängig von Russland sein kann. Es gilt jetzt, die Abhängigkeit von Öl und Gas zu reduzieren, um in Zukunft den Einkauf von fossilen Energieträgern zu vermeiden.
Was daraus folgt
Wir sprachen es bereits an: Als LINKE wollen wir eine neue Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik. Diesen Politikwechsel wollen wir mitgestalten und müssen zu praktikablen Vorschlägen kommen. Mit Blick auf die nur jüngsten Ereignisse des Ukraine-Krieges formulieren wir hier Eckpunkte einer Außenpolitik, wie wir sie uns als LINKE vorstellen.
Grundsätzlich und auf lange Sicht gilt für uns:
- Wir verzichten auf Worthülsen wie “bedingungslose Solidarität”. Kein Staat hat bedingungslose Solidarität verdient, staatliches Handeln ist immer kritisch zu betrachten. Wir schließen eine „bedingungslose Solidarität“ gegenüber „verbündeten Staaten“ aus. Dies ist notwendig und zeigt sich – als ein Beispiel – angesichts des seit über 20 Jahren existierenden, sämtlichen Menschenrechts- und Antifolterübereinkommen widersprechenden, US-Gefängnisses in Guantanamo.
- Politische Verbündete können für uns nur jene staatlichen und nichtstaatlichen Akteure sein, die Menschenrechte und demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien respektieren. Wir unterstützen zivilgesellschaftliche und politische Bewegungen für Demokratisierung, für soziale Rechte, Klimagerechtigkeit, feministische Kämpfe, Geschlechtergerechtigkeit und sexuelle Selbstbestimmung.
Unsere Solidarität gilt immer zuerst progressiven Gruppen und unterdrückten Klassen und nicht Staaten oder Regierungen, die vermeintlich geopolitisch unterstützenswert sind. Die Solidarität mit linker oder zumindest demokratischer Opposition in Diktaturen darf einer Anti-NATO-Agitation nicht geopfert werden.
- Das heißt für uns: Dort, wo sich demokratische und/oder linke Opposition gegen eine Diktatur formiert, gilt es, sie zu unterstützen. Wir sehen diese zivile und diplomatische Unterstützung als Möglichkeit, für die Universalität von Demokratie und Menschenrechten zu werben. Dafür zu streiten, zu debattieren, zu demonstrieren, im Zweifel auch zu kämpfen, liegt zunächst immer an widerständigen und mutigen Menschen vor Ort. Ob sie bereit sind, das Risiko auf sich zu nehmen, können wir von außen nicht beurteilen. Aber das Gespräch über alle Hindernisse hinweg mit ihnen zu suchen und ihre Perspektiven und Bedarfe zu eruieren und im Folgenden konkrete Solidarität zu leisten, liegt im Rahmen unserer Möglichkeiten. Demokratie militärisch exportieren zu wollen, ist jedoch gescheitert. Das zeigt auch noch am heutigen Tag die Lage in Afghanistan, für die der Westen Verantwortung trägt.
- Wir stehen für den Multilateralismus und setzen uns für eine Stärkung internationalen Rechts ein. Intergouvernementale Organisationen wie die UN und auch supranationale Staatenbünde wie die Europäische Union wollen wir stärken und gleichzeitig ihre demokratische Legitimation und Funktionsweise erhöhen, teils muss eine direkte, demokratische Legitimation überhaupt hergestellt werden.
- Wir denken eine Außen- und Sicherheitspolitik auch in den Kategorien von Asyl-, Energie-, Entwicklungszusammenarbeits- und Handelspolitik. Wir nehmen dort Kontingente auf, wo Menschen beginnen zu fliehen, wir setzen global auf erneuerbare Energien, wir teilen Wissen und fördern Volkswirtschaften des globalen Südens und behindern sie nicht, wir treten für faire Handelsbeziehungen ein und subsumieren dies als Teil eines umfassenden Verständnisses von Außenpolitik.
- Die Umsetzung der bislang unabgegoltenen Versprechen der Aufklärung ist ein gemeinsames globales Projekt. Dazu gehören jedoch sowohl die Übernahme der Verantwortung für die im Namen eines falschen, in Wahrheit partikularen Universalismus begangenen, kolonialen und neokolonialen Verbrechen als auch die Korrektur der Konstruktionsfehler, die den parlamentarisch-repräsentativen Systemen Europas und Nordamerikas in Form von Nationalstaaten nach wie vor innewohnen. Massive Menschenrechtsverletzungen an den US- und EU-Außengrenzen und das Ansinnen, Demokratie und Menschenrechte mit militärischen Mitteln zu exportieren sowie ausbeuterische Handelsverträge mit den Ländern des globalen Südens, das Nicht-Teilen von Wissen und Technologien mit jenen Ländern, die Ungerechtigkeiten bei den Lasten, die durch die Klimakatastrophe zu schultern sind – wir erkennen dies an und arbeiten an Lösungen, die der Menschheit als Ganzes gerecht werden.
- Das Ende der Ausbeutung im Süden wie im Norden ist ohne Errungenschaften wie Bürger*innenrechte und Rechtsstaatlichkeit nicht denkbar. Denn der sozialistische Versuch ist aufgrund seines Demokratiemangels und der brutalen Niederschlagung von Oppositionsbewegungen früh und bis auf Weiteres gescheitert. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Niedergang des sozialistischen Ostblocks wurde es zudem verpasst, ein kollektives Bündnis der Staaten für Demokratie und geteilte Sicherheit zu schaffen.
Als linXXnet sind wir kein außenpolitischer Thinktank und wollen dies auch nicht werden. Unser Text ist eine vorsichtige Intervention in einer vielschichtigen Debatte. Für diese Debatte braucht es Räume und die Anerkenntnis, dass es keine einfachen Antworten geben kann.
Wir beobachten die Debatte um die Stärkung einer demokratisierten Europäischen Union als eigenständiger Akteur auf dem internationalen Parkett interessiert. Mit einer grundlegend reformierten und erweiterten Europäischen Union könnte ein friedenspolitischer, multilateraler Akteur gestärkt werden, der sich jenseits der Konfrontation zwischen USA und Russland/ China und unabhängig von der NATO konstituiert.
Grundsätzlich halten wir an der Vision einer Welt ohne nationalstaatliche Grenzen, ohne kapitalistische Ausbeutung und Raubbau an natürlichen Ressourcen, an der Idee von Demilitarisierung und friedlichen Konfliktlösungsmechanismen fest.
«Es gibt keinen Sozialismus außerhalb der internationalen Solidarität des Proletariats, und es gibt keinen Sozialismus außerhalb des Klassenkampfes. Das sozialistische Proletariat kann weder im Frieden noch im Kriege auf Klassenkampf und auf internationale Solidarität verzichten, ohne Selbstmord zu begehen.»
(Rosa Luxemburg, 1916)
1 Siehe https://www.rosalux.de/stiftung/afpb/jugendbildung/jubi-netzwerk (Archiv)
2 Meinungsumfragen, NATO: https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine/343747/umfragen-haltung-der-ukrainerinnen-und-ukrainer-zu-einem-moeglichen-nato-beitritt/ – EU: https://www.reuters.com/world/europe/record-number-ukrainians-support-joining-eu-backing-nato-membership-falls-poll-2022-04-05/